ATHEN/BERLIN                      (Eigener Bericht) - Nach der gestrigen Zustimmung   der Euro-Finanzminister zu einem neuen Kürzungsdiktat für Athen stehen   der griechischen Bevölkerung weitere Schritte in die Verarmung bevor.   Die Maßnahmen, auf die sich Ende vergangener Woche die griechische   Regierung, die zuständigen EU-Institutionen und der IWF geeinigt haben,   sehen beispielsweise die Ausweitung von Zwangsräumungen vor; Kritiker   warnen vor einer Zunahme der Obdachlosigkeit. Gleichzeitig wird der   Ausverkauf staatlichen Eigentums mit der Veräußerung von vier   Kraftwerken fortgesetzt. Gewerkschaften kündigen Proteststreiks an,   können sich aber nicht sicher sein, ob sie sie durchführen dürfen: Auf   Druck Brüssels wird das Streikrecht empfindlich eingeschränkt. Dabei   erweisen sich selbst angebliche erste Erfolge wie etwa ein leichter   Rückgang der Arbeitslosigkeit als Augenwischerei: Der Rückgang basiert   auf einer dramatischen Zunahme besonders schlecht entlohnter   Teilzeitarbeit, die die Armut nicht verringert, sondern sie langfristig   sogar konsolidiert.                      
Der Euro und der soziale Dialog
Die   Finanzminister der Eurozone haben am gestrigen Montag die jüngste   Übereinkunft über die Auszahlung der nächsten Kredittranche an   Griechenland abgenickt. Ende vergangener Woche hatten sich die   griechische Regierung, die einschlägigen EU-Institutionen - die   Kommission, die EZB und der ESM - sowie der IWF auf die Bedingungen   geeinigt, die Athen nun erfüllen muss, damit am 22. Januar weitere fünf   Milliarden Euro aus dem Kreditprogramm freigegeben werden. Bei den   Bedingungen handelt es sich um einen erneuten Verkauf staatlichen   Eigentums, darüber hinaus um Maßnahmen, die die soziale Krise weiter   verschärfen, sowie um empfindliche Einschnitte beim Streikrecht, die den   Widerstand gegen künftige Austeritätsmaßnahmen deutlich schwächen   sollen. Die griechische Regierung muss nun alles bis Anfang Januar in   Gesetze fassen. Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission mit   Zuständigkeit für den Euro und den sozialen Dialog, preist die Einigung   als eine "gute Nachricht für Griechenland und Europa".[1]
Profite privatisieren
Der   Verkauf staatlichen Eigentums trifft diesmal vier Braunkohlekraftwerke   des Stromversorgers DEI, die nun an Privatinvestoren veräußert werden   müssen. Dies wird als ein "wichtiger Schritt zur Öffnung des   Energiemarktes" eingestuft.[2] Zuletzt waren vor allem Filetstücke der   Transportinfrastruktur privatisiert worden; davon hatten insbesondere   deutsche Konzerne profitiert. So hat etwa die deutsche Fraport AG den   Zuschlag für den Betrieb von 14 griechischen Flughäfen erhalten, und   zwar exakt von denjenigen unter den 37 Regionalflughäfen des Landes, die   attraktive Gewinne erwirtschaften; die nicht profitablen Airports,   darunter chronisch defizitäre, verbleiben beim griechischen Staat   (
german-foreign-policy.com berichtete [3]). Ebenfalls mehrheitlich an   ein deutsches Unternehmen, nämlich die Deutsche Invest Equity Partners   (DIEP), veräußert wird auch der Hafen von Thessaloniki; der Vertrag für   den Kauf der Betreibergesellschaft, die allein im ersten Halbjahr 2016   bei einem Umsatz von rund 21,2 Millionen Euro einen Gewinn von 5,5   Millionen Euro erwirtschaftete [4], soll am 15. Dezember unterzeichnet   werden. Lediglich die griechische Staatsbahn Trainose ging Anfang 2017   an die italienische Staatsbahn Ferrovie Dello Stato Italiane.
Chancen für die Konkurrenz
Dabei   zeichnet sich mittlerweile ab, dass der - maßgeblich von Berlin   durchgesetzte - Ausverkauf griechischen Staatseigentums seinen   beabsichtigten Zweck zunehmend verfehlt und nicht mehr nur westlichen   Unternehmen neue Profitchancen eröffnet. Immer öfter kommen bei   Privatisierungen in Griechenland chinesische Konzerne zum Zug.   Bekanntestes Beispiel ist die Übernahme der Mehrheit am Hafenbetreiber   in Piräus bei Athen durch COSCO (China Ocean Shipping Company). Die   Investitionen des chinesischen Unternehmens haben den Hafen mittlerweile   zum achtgrößten Europas und zum drittgrößten am Mittelmeer aufsteigen   lassen; weil er als einer der Endpunkte der Seeroute des chinesischen   Megaprojekts Neue Seidenstraße gilt, wird ihm perspektivisch sogar ein   Aufstieg zur Nummer eins in Südeuropa zugetraut.[5] Und chinesische   Firmen investieren weiter. Im Juni hat die chinesische State Grid   Corporation die Übernahme von 24 Prozent des griechischen Netzbetreibers   ADMIE abgeschlossen, die - wie jetzt der Verkauf der vier   Braunkohlekraftwerke - von der EU im Rahmen des Kreditprogramms   erzwungen worden war.[6] Zuletzt hat die staatliche Shenhua Group   begonnen, mit dem Stromversorger DIE und der Copelouzos Group des   Oligarchen Dimítris Copeloúzos zu kooperieren, der beim Betrieb der   griechischen Regionalflughäfen mit Fraport verbündet ist. Shenhua hat   zuletzt einen 75-Prozent-Anteil an vier Windparks übernommen und plant   gemeinsam mit DIE und Copelouzos Investitionen im Wert von drei   Milliarden Euro.[7]
Ein Kontrollverlust
Die   rasch wachsende Bedeutung Chinas für die darbende griechische   Wirtschaft führt mittlerweile dazu, dass Athen von EU-Maßnahmen Abstand   zu nehmen beginnt, die sich gegen Beijing richten. So hat die   griechische Regierung sich im Juni geweigert, eine EU-Resolution   mitzutragen, die die Volksrepublik bezichtigte, die Menschenrechte zu   verletzen. Berlin sieht seine Kontrolle über die EU-Peripherie in Frage   gestellt und reagiert empört - 
german-foreign-policy.com berichtete [8].
In die Obdachlosigkeit
Zu   den Maßnahmen, die Athen laut der jüngsten Übereinkunft mit den   EU-Institutionen und dem IWF nun umsetzen muss, zählt neben dem Verkauf   der vier Braunkohlekraftwerke auch die Zwangsversteigerung von Wohnraum.   Betroffen sind Eigentümer, die verschuldet sind und infolge der Krise -   etwa, weil sie arbeitslos wurden - ihre Kredite nicht zurückzahlen   können. Ein Gesetz, das die Zwangsversteigerung einer Wohnung verbietet,   die als Erstwohnsitz genutzt wird, läuft Ende des Jahres aus und ist   nicht verlängert worden; damit wird es möglich, Menschen im großen Stil   in die Obdachlosigkeit zu treiben. Schon jetzt werden die   Zwangsversteigerungen intensiviert; Berichten zufolge werden dabei sogar   mittellose Rentner aus ihrer Wohnung geworfen. Am vergangenen Mittwoch   kam es in Athen und Thessaloniki zu Protesten, die von der Polizei   brutal niedergeknüppelt wurden, um die von der EU geforderten Maßnahmen   durchzusetzen. In der Hauptstadt setzten die Repressionskräfte gegen   Demonstranten sogar in geschlossenen Räumen Tränengas ein.[9] Während   sich die soziale Lage weiter zuspitzt, hat Athen der EU vergangene Woche   zugesagt, auch das Streikrecht einzuschränken. Demnach sollen Streiks   künftig nur erlaubt sein, wenn sie in einer Urabstimmung von mindestens   51 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder explizit befürwortet wurden. Bei   der Maßnahme handelt es sich um den Versuch, den Widerstand gegen die   von Berlin und Brüssel oktroyierten Austeritätsdiktate schon im Keim zu   schwächen.
397 Euro im Monat
Die   angeblichen ökonomischen Erfolge, von denen in jüngster Zeit zuweilen   die Rede ist, um die neuen Maßnahmen zu legitimieren, erweisen sich bei   näherer Betrachtung als nicht vorhanden. So ist das geringe   Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent im ersten und 0,8 Prozent im zweiten   Quartal 2017 schon wieder eingebrochen und lag im dritten Quartal nur   noch bei 0,3 Prozent. Desaströs ist die Lage der vier großen   griechischen Banken: Inzwischen ist fast die Hälfte der Darlehen, die   sie vergeben haben, notleidend, meist deshalb, weil die Kreditnehmer   arbeitslos geworden sind oder sich nur noch mit miserabel bezahlten Jobs   über Wasser halten können.[10] Wie die Banken einen für Februar   geplanten EZB-Stresstest überstehen sollen, ist völlig unklar. Als   Scheinerfolg erweist sich auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf   20,6 Prozent im August nach einem Höchstwert von 27,9 Prozent im   September 2013; die Jugendarbeitslosigkeit ist von 45,2 Prozent im   Sommer 2016 auf 40,2 Prozent im August 2017 zurückgegangen. Allerdings   basiert diese Entwicklung auf einer dramatischen Zunahme vor allem von   Teilzeitarbeit. So ist die Zahl derjenigen, die einen Teilzeitjob haben,   von 99.000 im Jahr 2008 auf 267.000 in die Höhe geschnellt; das   Teilzeit-Durchschnittseinkommen wird mit 397 Euro im Monat angegeben.   Von denen, die in diesem Jahr eine neue Arbeitsstelle antraten,   erhielten weniger als die Hälfte einen regulären Vollzeitjob. Damit wird   die Verarmung der Bevölkerung weiter vorangetrieben, ohne als   Arbeitslosigkeit kenntlich zu sein.
[1], [2] Gerd Höhler: Griechenland erfüllt Bedingungen für nächste Hilfstranche. 
handelsblatt.com 03.12.2017.
[6] China's State Grid completes purchase of Greek power grid operator stake. 
chinadaily.com.cn 21.06.2017.
[7] Chryssa Liaggou: Shenhua joins power market through deal with PPC, Copelouzos. 
ekathimerini.com 02.11.2017.
[9] Alexandra Amanatidou: Aufbegehren gegen Ausverkauf. junge Welt 01.12.2017.
[10] Gerd Höhler: Griechenland erfüllt Bedingungen für nächste Hilfstranche. 
handelsblatt.com 
03.12.2017.